Foto Land der langen Wege

1.
Die Mauer ist bereits ähnlich jener in Berlin mit Graffiti übersäht. Ein Unterschied: sie ist wesentlich höher. Die breite vierbahnige Strasse ist abgeschnitten und das palästinensische Siedlungsgebiet dies- und jenseits der Mauer sind getrennt.

2.
Ähnlich der Chinesischen Mauer windet sich die neue Mauer über Berge und Täler und definiert eine neue Grenze - mitten durch Palästina.


Dr. Hasso Hohmann
Land der langen Wege

Die Westbank Palästinas, jenes Gebiet, das sich westlich des Jordanflusses bis zur Grenze Israels erstreckt und das 1967 durch die israelische Armee erobert wurde, sollte auf Grund zahlreicher UN-Resolutionen schon lange an die Palästinenser zurückgegeben werden und die Grundlage eines unabhängigen palästinensischen Staates abgeben. Statt dessen wurden über die gesamte Westbank unzählige israelische Siedlungen errichtet und die fruchtbaren Gebiete für die israelische Landwirtschaft annektiert. Israel unterscheidet bei den Siedlungen in Palästina zwischen legalen und illegalen Siedlungen - völkerrechtlich sind sie alle illegal und auf Kosten palästinensischen Gebietes errichtet worden. Die gewaltsame Landnahme vor allem im Jordan-Tal ist ein stetiger Prozess der israelischen Seite.

Seit 2003 gibt es nun den Bau einer Mauer, die aus Sicherheitsgründen wegen der vielen Selbstmordanschläge gegen Israel während der zweiten Intifada errichtet wird. Sie soll eine Gesamtlänge von fast 800 km erreichen und hat eine durchschnittliche Höhe von 8 bis 9 m. Die Betonfertigteile sind umgedrehte T-Profile mit ungeheurem Gewicht, die in grosser Zahl zusammengesetzt eine hohe glatte Mauer ergeben. Der Verlauf der trennenden Wand im Detail wirft vor allem Fragen zu Raum- und Stadtplanung auf und weckt Zweifel an der Begründung für ihren Bau.

Unüberwindliche Barriere

Es wurde beispielsweise bereits ein Grossteil der Mauer zwischen den palästinensischen Ortschaften Ath Thuri, At Tur etc. im Osten Jerusalems einerseits und den angrenzenden Ortschaften Abu Dis und Al Eizariya andererseits noch weiter östlich errichtet. Die weit entlegenen Durchlässe durch die Absperrung und die grossen Umwege, die gemacht werden müssen, um auf die andere Seite zu gelangen, machen die Mauer samt Durchlass zu einer fast unüberwindlichen Barriere. Gemeinden, wie das palästinensische Al Walaja, Battir und Nahhalin sollen völlig eingemauert werden. Mehrere Zonen nördlich von Tulkarem sind bereits heute vollständig ummauert, wie Qalqilia, eine Stadt mit 42.000 Einwohnern.

Man fragt sich, welchen Sinn es macht, dass diese Mauer fast überall durch palästinensisches Gebiet verläuft und nicht israelisches Gebiet von der Westbank trennt. Sind die Palästinenser westlich der Mauer weniger gefährlich als jene östlich davon? Praktisch überall werden auch landwirtschaftliche Flächen von ihren Grundeigentümern getrennt, sodass ihre Bewirtschaftung durch Palästinenser fast unmöglich gemacht wird.

Man fragt sich auch, warum die Grenze partout so geführt wird, dass Hospitäler, Universitäten, Schulen oder Kindergärten von Kranken, Studenten, Schülern und kleinen Kindern nicht mehr oder nur noch sehr bedingt genutzt werden können und die dort jeweils arbeitenden Ärzte, Professoren, Lehrer oder Kindergärtnerinnen und auch die Nutzer zum Teil so lange Wege in Kauf nehmen müssen, dass sie freiwillig ihren Arbeitsplatz oder ihren Wohnstandort aufgeben. Es haben bereits Tausende von Palästinensern ihre Wohnungen deshalb aufgeben müssen.

Viele Kinder aus Orten entlang der Mauer müssen heute, sollen sie überhaupt noch zur Schule gehen, sehr lange Wege, in manchen Fällen von mehreren Stunden, in Kauf nehmen und können angesichts der Checkpoints in den Grenzziehungen nie sicher sein, ob sie die Schule bzw. später den Wohnort überhaupt erreichen.

Bei nur einem Zugang zur Stadt Nablus mit ihren ca. 200.000 Einwohnern drängen sich nur noch jene Personen am Checkpoint, die unbedingt herein oder heraus müssen. Sie sind dort seit Jahren gezwungen, meist Stunden in der prallen Sonne zu warten, und völlig von der Gunst der israelischen Soldaten abhängig. Wir konnten beobachten, wie neben uns ein Palästinenser von israelischen Militärs übelst geschlagen und dann abgeführt wurde. Professoren der An-Najah University in Nablus, die von aussen früher hereinpendelten, haben ihren Dienst in Nablus längst aufgegeben.

Aus Sicherheitsgründen werden heute viele ehemalige Verbindungsstrassen innerhalb Palästinas durch Barrieren unterbrochen. Palästinenser sind hier gezwungen, alles von einem Fahrzeug auf ein anderes mit der Hand umzuladen. Die Barrieren sind oft hohe Erdwälle oder Betonhindernisse. In der Regel sind es zwei Barrieren in einem gewissen Abstand, der zu Fuss unter Beaufsichtigung durch die Israelis zurückgelegt werden muss. Selbst bei einem Verständnis für ein Sicherheitsbedürfnis von Israelis in der Westbank ist aber nur schwer einzusehen, warum der Abstand zwischen diesen Barrieren, über den Koffer und alle Güter getragen werden müssen, nicht etwa fünf oder zehn, sondern oft hunderte Meter, ja bis zu über zwei Kilometer betragen muss. Abgesehen davon werden auf diese Weise Versorgung und Handel für Palästinenser fast unmöglich gemacht, was die Situation in der Westbank mit über 60% Arbeitslosigkeit noch dramatischer macht.

Häufige Schikanen

Die Diktion, mit der über Palästinenser vor allem in israelischen Medien berichtet wird, aber auch, wie man über sie im Alltag spricht, scheint in Israel zu einer starken Herabsetzung der Hemmschwelle im täglichen Umgang und bei militärischen Operationen gegen die Palästinenser geführt zu haben. Die häufigen Schikanen, Demütigungen, die stetig fortschreitende Landnahme, in jüngster Zeit auch mit Hilfe des Mauerbaues, die Ermordung von Palästinensern, die Zerstörung von palästinensischen Häusern und ganzen Wohnblocks erzeugen nur weitere ohnmächtige Aggressionen.

In der langen Geschichte der Okkupatoren Palästinas sind die Israelis die ersten, die ihnen nicht nur die Freiheit, sondern auch das Land als Lebensgrundlage nehmen. Derzeit scheint die Zielrichtung der Israelis die sukzessive Reduzierung des palästinensischen Freiraumes auf deren Städte, die stark bevölkerten Siedlungsräume und das unfruchtbare Gelände Palästinas zu sein - alles von hohen Mauern umgeben. Das kann nie ein Staat werden und zur Aussöhnung führen.

Zu einem Friedensprozess, an dessen Ende eine Lösung mit Augenmass steht, die sicher nicht die Extrempositionen beider Seiten zufrieden stellen kann, aber vielleicht doch die Chance auf eine Unterstützung durch die Mehrheit auf beiden Seiten hat, gibt es keine sinnvolle Alternative. Daher sind besonders die Medien dazu aufgerufen, vor allem in Israel, aber auch in Palästina verantwortlich dazu beizutragen, die Emotionen und die Extremforderungen herunterzufahren.