Foto Kostenbewußter Wohnbau

1996
Kapfenberg
Kostenbewußter Wohnbau
Forschungsprojekt

Arbeitsgemeinschaft
mit Michael Kammlander



Zentralvereinigung der
Architekten Österreichs

Räume der Zukunft
Wohnbausymposion, 1997

Teilnehmer der Arbeitsgruppe:
Christoph Chorherr, Stadtrat Wien, Grüne
Franziska Eichstädt-Bohlig, MdB, Bündnis 90 / Die Grünen
Michael Haberz, DI, Architekt
Friedrich Hager, Caritas
Johannes Hörmann, DI, Merkur Versicherung
Ernst Kaltenegger, Stadtrat Graz, KPÖ
Georg Seebacher, Dr., Rechtsanwalt
Friedrich Wiesenhofer, DI, Architekt

Leitung:
Heinz Wondra, DI, Architekt



Menschenwürdiges Wohnen, Recht auf Arbeit, allgemeiner Zugang zu Bildung, Krankenversicherung und Altersversorgung zählen zu den sozialen Errungenschaften der Moderne in der gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich. Der Umbau einer agrarisch dominierten Wirtschaft in eine industrie- und dienstleistungsorientierte Gesellschaft bewirkte Landflucht und den Transfer großer Bevölkerungsteile vom Land in die Städte. Friedrich Engels beschreibt die Zustände in den Wohnbezirken der Arbeiter in Manchester um 1850*. Das Objekt Wohnung ist spätestens jetzt zum lebensnotwendigen Mangelgut geworden und das System des Kapitalismus nutzte diesen Umstand, bekannt als Manchesterliberalismus. Die unterschiedlichen Formen kollektiven Wohnens sind die Reaktion auf dieses Elend der Massen.
Zur Jahrhundertwende arbeiteten im Ruhrgebiet ganze Familien ausschließlich für den Gegenwert von Wohnung und Nahrung in der Kohle- und Stahlindustrie. Werkswohnungen und werkseigene Läden ermöglichten einen nahezu bargeldlosen Wertausgleich im Sinne der patriachalisch organisierten Großindustrie. Die proletarische Revolution von 1917 stand am Beginn der Siedlerbewegung und des genossenschaftlichen Bauens. Der Massen-Wohnbau, von Genossenschaften organisiert und mit öffentlichen Mitteln finanziert, wurde zum Thema sozial engagierter Architekten. In den Großwohnanlagen der Zeit zwischen den Weltkriegen lebten, der Zielsetzung entsprechend, Arbeiter. Aus der Sicht des Ständestaates und später des Nationalsozialistischen Regimes wurden hier die Zentren sozialistischer und kommunistischer Agitation vermutet und mit den Mitteln faschistischer Systeme bekämpft.
Der Zweite Weltkrieg mit den Folgen des Bombenkrieges gegen zivile Ziele verschärfte die allgemeine Wohnungsnot nach dem Krieg. Die im parteipolitischen Proporz gegliederte Demokratie der 2. Republik organisierte den Wohnhauswiederaufbau der Nachkriegszeit mit den‚ den politischen Parteien zugeschriebenen, gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften und finanzierte dieses ausschließlich bedarfsdeckende Bauen über den Bundes-Wohnhauswiederaufbaufonds. Nachdem in den Fünfzigerjahren und Sechzigerjahren die Kriegsschäden weitgehend repariert waren, entwickelte sich die föderalistisch gestaltete Wohnbauförderung zur Finanzierung von Miet- und Eigentumswohnungen in der Form der Objektförderung. Auf das wesentliche reduziert bedeutet dies:
Die Wohnbaugenossenschaften errichteten Wohnungen und wiesen diese vorwiegend politisch opportunen Wohnungssuchenden zu. Da die Zuteilung von finanziellen Mitteln aus der Wohnbauförderung an den Titel der Gemeinnützigkeit des Bauträgers gebunden war, waren alle privaten, das heißt nicht parteipolitisch gebundenen Initiativen vom Markt des sozialen, geförderten Wohnbaus ausgegrenzt. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war die Zielsetzung des geförderten Wohnbaus neben der Bereitstellung von Wohnraum die Erhaltung des Proporzsystems der Parteien, pragmatisch abgesichert über die Verhinderung der Subjektförderung im sozialen Wohnbau. Ansätze zur Selbstentscheidung der Wohnungssuchenden über die Förderungsmittel, wie Bewohnermitbestimmung, Wohnbauscheck und anderes brachten nur marginale Erfolge für diese Initiativen, aber systemerhaltende Reaktionen derjenigen, die an der Fortsetzung der Objektförderung interessiert waren.
In dieser Phase entstand trotzdem in regionalen Einflußbereichen von Einzelpersonen Wohnbau von international anerkannter Qualität. Allerdings zum Teil so teuer, daß dessen Finanzierung mit öffentlichen Mitteln nicht vertretbar erschien. In diesem geschlossenen System von Bodenpolitik, Baulandfinanzierung, Grundstücksmarkt, Wohnbauförderung, Wohnbaugenossenschaften, Architekten, Bauausführenden, Baukontrolle und Wohnungsvergabe entwickelten sich die Baukosten zu den höchsten in Europa. Die in Österreich üblichen Förderungssätze für den Quadratmeter Wohnnutzfläche liegen derzeit um ca. 50% über den vom Freistaat Bayern limitierten vergleichbaren Kosten.
Unbestrittene Tatsache ist, daß der geförderte Wohnungsbau in Österreich zu diesen Preisen in der Zukunft nicht finanzierbar sein wird. Dramatische Kostenreduzierungen sind notwendig und auch realisierbar, werden aber von den dafür Verantwortlichen weder gefordert noch werden Initiativen zu ihrer Erreichung gefördert.

Die Gesamtherstellungskosten je Wohnung setzen sich aus den Kosten mehrerer Teil-bereiche zusammen und es ist zu untersuchen, welche kostensenkenden Maßnahmen zu deutlich verringerten Aufwendungen für:
1. Bauland und Erschließung
2. Finanzierung
3. Herstellung
4. Planung
führen könnten.
Wenn diese Überlegungen auch schlüssig sind und allgemeine Gültigkeit haben, so verändern sich die Voraussetzungen etwas, wenn die Einschränkung getroffen wird: Familien mit niedrigem Einkommen müssen zukünftig mit Mietwohnungen zu akzeptablen finanziellen Bedingungen versorgt werden.
Oder, wer es sich leisten kann wohnt bereits.
U n s e r Nutzer jedoch hat keine akzeptable Wohnung und verfügt über kein ausreichendes Einkommen, um sich eine menschenwürdige Wohnung finanzieren zu können.
Für diesen Nutzer sind, wie später noch erklärt wird, die Gesamtherstellungskosten der Wohnung eher von sekundärer Bedeutung.
Entscheidender für seine finanzielle Belastung sind, zumindest im System der gültigen Wohnbauförderung, die anfallenden Betriebskosten für seine Wohnung. Die Folgekosten sind daher wesentlicher Aspekt für alle Überlegungen zu den Gesamtherstellungskosten jeder Wohnung.

zu 1.: Bodenpolitik, Bodenbewirtschaftung
Im Bereich der Raumplanung werden private Umwidmungsgewinne produziert, die sich voll auf die Baulandpreise auswirken. Aufschließungskosten und Infrastruktur von Wohngebieten könnten bei einer zumindest teilweisen Abschöpfung damit finanziert werden und die Kommunen finanziell entlasten.
Höhere Bebauungsdichten für innerstädtisches und stadtnahes Bauland müßten als kommunalpolitisches Ziel in Stadtentwicklungskonzepte und Flächenwidmungspläne einfließen und würden so die immer höheren Kosten der Zersiedelung vermeiden, den Landschaftsverbrauch nachhaltig verhindern und die hohen Folgekosten für fehlende infrastrukturelle Einrichtungen abwenden. Das angestrebte Ergebnis wäre die Verminderung der Kosten für den Baulandanteil einer Wohnung.

zu 2.: Finanzierung, Förderung
Das gültige Prinzip der Wohnbauförderung ist das System der Objektförderung. Kann der/die Nutzer/in - Mieter/in - die anteiligen Gesamtherstellungskosten in Form der Miete nicht aufbringen, hat er/sie Anspruch auf Wohnbeihilfe als Subjektförderung. Diesen Anspruch auf Subjektförderung hat der/die Mieter/in jedoch nur dann, wenn die von ihm/ihr gemietete Wohnung Teil eines mit Objektförderung errichteten Wohnhauses ist. Anspruch auf Objektförderung durch die öffentliche Hand haben aber nur Bauträger mit Verpflichtung zur Gemeinnützigkeit, im allgemeinen Sprachgebrauch als "Wohnbaugenossenschaften" bezeichnet.
Das heißt:
Dem Bereich der privaten, gewerblichen Bauträger ist der Markt des Mietwohnungsbaus verschlossen, weil seiner Klientel der Anspruch auf Wohnbeihilfe gesetzlich vorenthalten wird.
Versicherungen, die zur Sicherstellung Realbesitz schaffen müssen, oder z.B. die Bausparkasse Wüstenrot könnte zu Konditionen in den Mietwohnungsbau investieren, die weit unter den üblichen Bankzinsen für die Mittel der Wohnbauförderung liegen.
Der Markt ist geschlossen, Wettbewerb ist ausgeschaltet.
Wohnbaugenossenschaften dürfen als Träger von Gemeinnützigkeit keine Gewinne erwirtschaften und horten daher solche als lnvestitionsrücklagen. Über die Größenordnung wird gelegentlich öffentlich spekuliert.
Das Thema Bauzinsen ist ein weiteres Kapitel im Zusammenhang kostenbildender Faktoren.
Finanzierung, Finanzierungskosten, wahre Kosten des Managements und Effizienz der Verwaltung werden von Insidern der Branche als kostenträchtig beurteilt.
Von den Genossenschaften werden die Planungskosten als wahre Ursache für die hohen Herstellungskosten eingemahnt. Die Honorare für Planung und Bauüberwachung betragen im Wohnbau ca. 15% der Nettoherstellungskosten. Tatsache jedoch ist, daß bei über 60% des Bauvolumens im Wohnbau Planungsleistungen und damit Honorare von den Genossenschaften selbst erbracht und vereinnahmt werden.

zu 3.: Bautechnologie, industrielle Fertigung
Bauen ist immer noch eine Allwetterveranstaltung und das speziell im Wohnungsbau. Bauen ist im wahrsten Sinne des Wortes noch Steinzeit. Und daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Hätten andere Industrien mit vergleichbarer Wertschöpfung sich technologisch ähnlich langsam entwickelt, würden heute noch Mercedes-Limousinen mit Holzrädern fahren oder Computer mit Dampf betrieben werden. Zwei Faktoren lassen in diesem Sektor keine relevanten Einsparungen erwarten:
Zum einen steckt der Hochbau im Entwicklungsstadium von Manufaktur- und Kleinserienproduktion. Zum anderen sind die Ansprüche des Erwerbers eines Hauses oder einer Wohnung zivilrechtlich so weitgehend abgesichert, daß für den Unternehmer im Baugeschehen heute das Risiko der Produkthaftung nicht kalkulierbar ist und daher keine Kostenwahrheit in der Preisbildung gegeben ist. Vergleichsweise kosten die Automobile einer Familie heute im Anschaffungspreis und mit den Erhaltungskosten gleich viel wie eine Wohnung. Die Autos sind nach zehn Jahren Schrott und Sondermüll, die Wohnung soll nach zehn Jahren wie neu sein und das ohne Aufwendungen für Instandhaltung. Wenn die Kosten im Massenwohnungsbau entscheidend gesenkt werden müssen, ist ein Entwicklungssprung in der Bautechnologie und eine Einschränkung bei den Anforderungen an das Produkt Wohnung Voraussetzung.
Vorhersehbar ist aber, daß diese Entscheidung in den Ländern der dritten und vierten Welt fällt, weil dort der Druck durch den Zuwachs an Bevölkerung zu Formen des Wohnens führen wird, die heute noch nicht erkennbar sind.
Rasend schneller Verkehr auf globalen Datenhighways und vernetzte lnformationsflüsse nicht vorstellbarer Dichte stehen der Menschheit bevor. Seltsam ist aber, daß die Surfer in virtuellen Welten von realen Wohnungen starten und auch nach dort zurückkehren wollen.

zu 4.: Investition in das intelligente Produkt oder Architektur als Luxus
Dem Bewohner ist seine Wohnung wichtig und sie kann lebenslang Wohlbefinden vermitteln oder das Gegenteil. Diese Wohnung kann aber nicht als isoliertes Objekt betrachtet werden, denn ein wesentlicher Faktor ihrer Qualität wird durch ihren Umraum bestimmt. In der großen Zahl verdichten sich einzelne Wohnungen zum Wohnbau und werden damit zu Elementen übergeordneter stadträumlicher Strukturen. Es entstehen Quartiere nach städtebaulichen Entwicklungskonzepten und irgendwann ist irgendetwas entstanden und wird freudig Architektur genannt. Individualverkehr, fahrend oder stehend, infrastrukturelle Einrichtungen, öffentlicher Verkehr, Grün und Pflaster, alles ist da, kommunizieren soll man, privat oder vernetzt, Konsumation ist angesagt.
Man kennt die Beispiele, aber irgendwie ist es immer öd, bis auf Ausnahmen. Aber bei diesen Ausnahmen, so behaupte ich, stecken Investitionen in dem intelligenten Produkt und Architektur ist hier mehr als zwölf Fotostandpunkte für Fachtouristen. Und diese wenigen Ausnahmen sollen mehr werden.

Wem nützt kostengünstiger geförderter Wohnbau?

Dem Architekten? Nein!
Kostengünstiges Bauen bedarf wie jedes intelligente Produkt des Aufwandes an geistiger Investition. Das Honorar des Architekten wird nach den Herstellungskosten des geplanten Objektes bemessen, das heißt, je weniger Gedankenarbeit bei einem Projekt aufgewendet wird, desto höher ist der finanzielle Gewinn. Gleiches gilt im Umkehrschluß, je mehr Innovation in ein Projekt investiert wird, desto geringer ist, wenn überhaupt ein solcher sich errechnet, der Lohn. Wer sich als Architekt engagiert, betreibt Selbstausbeutung. Trotzdem ist die Forderung nach qualitätvoller Architektur und sozialem Engagement im Wohnbau ein legitimes gesellschaftliches Anliegen.
Der ideelle Reichtum von Architektur liegt in der Vielfalt des Angebotes. So gesehen münden die Tendenzen der industriellen Produktion von Wohnungen in Großtafelbauweise in der Sackgasse. Aber, nicht jede Wohnung muß immer wieder neu erfunden werden. Industrielles Knowhow aus der DDR, Planungstheorie aus der Schweiz, sozial verträgliche Wohnbaustandards wie in den Niederlanden allgemein akzeptiert, ökologisches Bewußtsein der Dänen, gepaart mit heimischer Intelligenz, darauf abgestimmt novellierte Förderungsbestimmungen für den Sozialen Wohnbau, weniger Ignoranz ganz allgemein, und entscheidende Reduktionen von 30 - 40 ihren Prozent bei den Herstellungskosten wären realisierbar.

Dem Baugewerbe? Nein!
Denn das Gesamtvolumen des Sozialen Wohnbaus in Österreich wird mit den herkömmlichen Baumethoden pragmatisch und relativ risikolos abgewickelt. Die Margen sind gering, aber gesichert.

Dem gemeinnützigen Bauträger? Nein!
Dieser ist in bewährten Strukturen organisiert, jede Änderung wäre ein Störfaktor im Geschäftsablauf. Die Herstellungskosten im geförderten Wohnungsbau orientieren sich an den oberen Grenzen der Wohnbauförderungssätze. Werden diese bei einem Projekt überzogen, entsteht Unruhe, werden die zulässigen Kosten wesentlich unterschritten, stehen buchhalterische Defizite an.
Für kostengünstigen geförderten Wohnungsbau besteht kein ökonomischer Anreiz. Den Zugang zum intelligenten, kostengünstigen Produkt Wohnung verhindert das Mittelmaß und das Beharrungsvermögen des Apparates.

Dem Wohnungswerber? Nein!
Allein der Begriff "Wohnungswerber" deutet das Selbstverständnis der Verwaltung, mit welchem dem Bürger sein Anspruch auf öffentliche Mittel zugebilligt wird. Diesem Wohnungswerber sind niedrige Herstellungskosten seiner Wohnung, so er sie je erfährt, egal. Abhängig vom Familieneinkommen erhält er die Subjektförderung als Wohnbauhilfe, das heißt sein Beitrag zur Miete wird an seinem Einkommen gemessen, die Differenz bezahlt die öffentliche Hand.

Dem Bürgermeister einer Gemeinde? Nein!
Sein zählbarer Erfolg ist die Menge der in seiner Funktionsperiode in seiner Gemeinde errichteten Wohnungen und damit verbunden der Grad der Wohnversorgung der Bevölkerung. Und die Würdigung seiner Leistung bei der nächsten Wahl.

Wer müsste schlußendlich an kostengünstigem geförderten Wohnbau Interesse haben?
Das ist jener, dessen politischer Erfolg bei der Wahl bewertet wird an der nachweisbar größeren Zahl von realisierten Wohneinheiten bei gleichbleibendem oder kleinerem Budget.

Heinz Wondra


Zentralvereinigung der
Architekten Österreichs
Landesverband für Steiermark
10. - 12. April 1997
Haus der Architektur, Graz



*
Friedrich Engels
Die Lage der Arbeitenden Klasse in England