Foto GZ Unterfladnitz

Ländliche Urbanität


Entwickelt aus der Tradition, jedoch keineswegs heimattümelnd. Alltagstauglich, aber nicht banal. Über Heinz Wondras Gemeindezentrum für Unterfladnitz und das neue Leben auf dem Land.


Sie klingt anachronistisch, die Rede von der Ressource Land, vom ländlichen Raum als Lebensraum der Zukunft, die wieder verstärkt angestimmt wird. Gleicht sie nicht einer Beschwörungsformel zur Abwendung des worst case, der Schreckensvision von einer brachliegenden und entvölkerten Landschaft? Die rückläufige Bedeutung des Agrarischen, das Bauernsterben, erhöhte Arbeitslosigkeit und starke Abwanderungstendenzen junger Menschen aus peripheren Regionen sind Fakten, die sich nicht wegleugnen lassen.

Die Attraktivität des Lebens auf dem Land ist in erster Linie an verfügbare Arbeit gekoppelt - ohne Arbeitsplätze kein Bleiben und kein Zuzug. Nahezu gleichbedeutend ist das Vorhandensein funktionierender Infrastruktur. Ist eine positive Entwicklung des regionalen Arbeitsmarktes festzustellen, dann sind Gemeinden gut beraten, ihrerseits Anreize zum Bleiben und zur Niederlassung zu schaffen, indem sie vernünftige Maßnahmen zur Stärkung oder Erneuerung kommunaler Strukturen tätigen, die das Leben im Dorf erleichtern. Was bewirkt, dass man sich emotional an einen Ort gebunden und zu Hause fühlt, ist schwer zu fassen und noch viel schwerer zu erzeugen.

Mehr als die Stadt spiegelt das Dorf einen komplexen Kosmos wider, ein Gefüge von ineinander verwobenen Strukturen, gegenseitigen Erwartungen und Abhängigkeiten, das sich dem nicht Ansässigen kaum erschließt. Und dennoch: Erst der Blick von außen - der Blick mit Distanz - ermöglicht, spezifische Ressourcen und Eigenheiten eines Ortes zu erkennen, die das Potenzial in sich tragen, identitätsstiftend zu sein und darauf aufbauen zu können. Genau deshalb erfordert Dorferneuerung ein Eingreifen durch Außenstehende. Den Ortsplanern kommt dabei eine ebenso große Verantwortung zu wie den Architekten.

Unterfladnitz ist ein noch vorwiegend agrarisch bestimmtes Dorf in der Oststeiermark und zugleich der namensgebende Ort im Zusammenschluss von sechs Katastralgemeinden, die gemeinsam 1500 Einwohner zählen. Von der verkehrsgünstigen Lage an der Verbindung der beiden Bezirksstädte Gleisdorf und Weiz, an der sich in den letzten Jahren eine nicht unbeträchtliche Zahl von Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben angesiedelt hat, profitiert auch Unterfladnitz.

Nun wurde in dem Dorf, das seine Gemeindeagenden bis dahin von einer kleinen Stube aus wahrgenommen hat, ein Gemeindezentrum eröffnet, das Heinz Wondra geplant hat. Nachdem dem Ort eine historische Mitte mit Dorfkirche, Pfarrhof und Schule fehlt, hat der Architekt ein Gebäude konzipiert, das in seiner Ausrichtung und Ausstattung mit dem dazu gehörigen kleinen Festplatz, dem benachbarten Gasthaus und der dahinterliegenden Bahnstation einen neuen zentralen Ort anbietet. Die Stellung des winkelförmigen Baukörpers wirkt raumbildend. Sie formt einen kleinen Platz, blendet aber auch das angrenzende Gebiet des Landwirteverbands mit einer alles dominierenden Maistrocknungsanlage aus Holz aus.

Die unterschiedlichen Funktionen einer Amtsstube und eines Festsaals werden an den beiden differenziert geformten Gebäudeflügeln deutlich. Das Gemeindeamt präsentiert sich als schlanker, linear ausgerichteter Körper mit geringer Gebäudehöhe funktionell und schlicht, während der Veranstaltungstrakt durch größere Höhe und eine nicht alltägliche Form geprägt ist, die bescheidene Festlichkeit ausdrücken soll. Die Plastizität des Körpers entwickelt der Architekt aus dem Zuschnitt des Grundstücks und aus der Weiterführung einer Dachschräge, die im Gemeindeamt als Oberlichtverglasung des Flurs in Erscheinung tritt. Am Schnittpunkt der beiden Funktionsbereiche entsteht ein in alle Richtungen durchlässiger, heller Raum mit mehrfacher Konnotation. Er ist Eingang und Warteraum für die Gemeinde und zugleich das Foyer zum Saal, er kann für Ausstellungen oder kleinere Feiern genützt werden und lädt in seiner Offenheit dazu ein, zur Passage vom Lagerhaus zum Gasthaus zu werden.

Der Saal war in der Wettbewerbsvorgabe noch im ersten Stock vorgesehen. Auf Anregung von Heinz Wondra wurde den Wettbewerbsteilnehmern freigestellt, wo sie ihn situieren wollten. In seinem Konzept, der Neuinterpretation eines belebten Dorfplatzes mit vielfältiger Nutzungsmöglichkeit und permanenter Verfügbarkeit, konnte ein Festsaal nur zu ebener Erde sein. Mit einer Abfolge von großen Türen, die sich zum befestigten Vorplatz öffnen, nimmt der Architekt eine Tradition von Veranstaltungen am Land, die sich oft im Freien fortsetzen, auf und schafft ein unprätentiöses Raumkontinuum aus Innenraum, Terrasse, Sitzstufenanlage und kleiner abgesenkter Festwiese - wohl wissend, dass Orte, an denen vielfältige dörfliche Aktivitäten stattfinden können, identitätsstiftend wirken. Der Saal selbst, bis zu fünf Meter hoch, ist zwischen zwei Betonscheiben aufgespannt und belässt seine konstruktiv wirksamen, die Konstruktion aussteifenden kreuzweise verleimten Scheiben in ihrer ungeschönten Holzoberfläche. Eine Wandnische, die als Stuhllager dient, ist mit einer raumhohen Holzwand verschlossen, die sich als zweiteiliges Tor entpuppt, das zur Bühnenfassung wird.

Das alles  kann als Reminiszenz an früher oft improvisiert eingerichtete dörfliche Veranstaltungsräume gelesen werden, als freie Assoziation an Scheunen, in denen Theater gespielt oder gemeinschaftlich Woaz (Mais) geschält wurde. Entwickelt aus einer Tradition heraus, jedoch keineswegs heimattümelnd rustikal. Die Form des Saals mit der mehrfach geknickten Hülle ist komplex, um das Besondere, das nicht Alltägliche auszudrücken. Spektakulär und für die Dorfbewohner fremd mag allenfalls seine Außenhaut aus einer beinahe weißen Folie erscheinen, die jedoch ganz pragmatisch aus ökonomischen Überlegungen gewählt wurde, weil die Kosten für das Gebäude äußerst knapp bemessen waren.

Als Architektur ist dieser Bau autonom, er folgt keinen Moden und ist nicht in Kategorien wie Traditionalismus, neue Einfachheit oder neue Modernität einzuordnen. Hier wurde nicht angestrebt, ein spektakuläres, aus dem heterogenen dörflichen Gefüge herausstechendes Einzelbauwerk zu sein, sondern eines, das sich aus seiner lapidaren Selbstverständlichkeit und Ungeschmücktheit heraus legitimiert, ein angemessenen Beitrag zum kommunalen Leben darstellt - alltäglich in der Bedeutung von alltagstauglich, aber nicht banal.

Karin Tschavgova

SPECTRUM, Die Presse
26./27.05.2007